Neue Regeln für die Flexibilität beim Stromverbrauch

14. Juni 2019

Bereits heute stammt der größte Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Die Flexibilität der Industrie bei der Stromnachfrage kann helfen, die Stromnetze zu stabilisieren, doch sie kann bisher nicht voll umgesetzt werden. Ein aktuelles Positionspapier des Kopernikus-Projektes SynErgie zeigt die Hemmnisse für industrielle Stromnachfrageflexibilität auf und schlägt notwendige regulatorische Änderungen vor.

Das künftige Flexibilitätspotenzial des Stromverbrauchs der deutschen Industrie wird auf bis zu 15 GW geschätzt. Um es in den kommenden Jahrzehnten vollständig nutzen zu können, sind regulatorische Änderungen im Markt- und Stromsystem notwendig, denn Unternehmen bieten nur dann Nachfrageflexibilität an, wenn diese auch wirtschaftlich ist.

Was kann man tun

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kopernikus-Projekts »Synchronisierte und energieadaptive Produktionstechnik zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung« (SynErgie), das vom Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt und dem Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart geleitet wird, haben Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedenen Disziplinen und produzierenden Branchen ein Positionspapier mit Lösungen verfasst. Unter Berücksichtigung von rechtlichen und sozialen Aspekten wurden unter Federführung des Kernkompetenzzentrums Finanz- & Informationsmanagement und der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, alle technischen und marktseitigen Voraussetzungen erarbeitet, um den Strombedarf der deutschen Industrie maßgeblich mit dem volatilen Stromangebot zu synchronisieren. Ein entscheidender Baustein war die Identifikation von Hemmnissen für industrielle Stromnachfrageflexibilität und die Erarbeitung notwendiger regulatorischer Änderungen.

Das Flexibilisierungspotential bleibt laut den Experten unter anderem deshalb ungenutzt, weil Verbrauchsspitzen, welche durch sinnvolle netz- und systemdienliche Flexibilitätsmaßnahmen hervorgerufen werden, durch die Regulatorik der Netzentgelte vermieden werden. Zudem widerspricht die EEG-Umlage der Flexibilitätsbereitstellung, und die Zugänge zu Märkten sind beschränkt.

Mehr Anreize für Unternehmen schaffen

»Zur Überwindung dieser Hürden bedarf es zukünftig weiterer Anreize, den Stromverbrauch zu passenden Zeitpunkten zu reduzieren und zu anderen Zeitpunkten zu erhöhen«, erläutert Professor Hans Ulrich Buhl vom Kernkompetenzzentrum Finanz- & Informationsmanagement und der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, der die Erstellung des Positionspapiers maßgeblich geleitet hat. Aktuell bieten die Strommärkte für ein solches netz- oder systemdienliches Verhalten nur für wenige energieintensive Unternehmen gewisse, teils widersprüchliche Anreize. Kurz- und mittelfristig ist es deshalb notwendig, dass die Flexibilitätsbereitstellung nicht begrenzt wird. Die aktuelle Netzentgeltverordnung schließt die Bereitstellung von systemdienlicher Nachfrageflexibilität in den meisten Fällen aus, weil durch mögliche Lastspitzen unter Umständen vielfach höhere Netzentgelte zu erwarten sind.

Darüber hinaus besteht ein Zielkonflikt zwischen Energieeffizienz und Energieflexibilität, der vom Gesetzgeber über die EEG-Umlage bestraft wird: Energieflexibilitätsmaßnahmen lassen in einigen Fällen die Energieeffizienz sinken und damit die EEG-Umlage des Unternehmens steigen.

Das Angebot an Flexibilität, insbesondere am Regelenergiemarkt, könnte deutlich erhöht werden, wenn nicht nur einzelne technische Einheiten, sondern auch die darüber liegenden Prozesse präqualifiziert würden. Präqualifikation bedeutet, dass die technische Eignung einer Einheit für die Teilnahme am Regelenergiemarkt überprüft und sichergestellt wird.

Langfristig ist es notwendig, das Flexibilitätsangebot unabhängig von der Energieintensivität oder Größe eines Unternehmens zu erweitern. Hierfür ist es notwendig, das sogenannte Pooling, also die Zusammenfassung von Anlagen zur Erreichung von technischen Mindestanforderungen, zu vereinfachen. Preise werden derzeit oftmals durch Abgaben, Umlagen und Steuern verzerrt, sodass sich niedrige und negative Börsenpreise in den Strompreisen der meisten Industrieunternehmen nicht widerspiegeln. Neben der Bereitstellung von Werkzeugen, die den Unternehmen bei der Entscheidung helfen, wann Flexibilität angeboten und vermarktet wird, ist auch die systematische und zentral koordinierte Information über Flexibilitätsmöglichkeiten, also die Identifikation, Beschreibung und Weiterentwicklung, notwendig. Zur Risikosenkung sollte eine Flexibilitätsversicherung eigeführt werden.

Hohe Bedeutung regulatorischer Änderungen für alle

Die regulatorischen Änderungen zur Schaffung von Anreizen sind auch über die Industrie hinaus von großer Bedeutung für das Gelingen der Energiewende. »Nicht nur die Industrie profitiert von der Netzstabilisierung durch industrielle Stromnachfrageflexibilität«, erläutert Professor Alexander Sauer, Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart, »sondern alle Stromverbraucher. Denn eine stabile Versorgung bedeutet auch günstige Strompreise«.

Zugleich existieren Wechselwirkungen zwischen der industriellen Stromnachfrageflexibilität und der Speicherung erneuerbarer Energie (Kopernikus-Projekt P2X), der Entwicklung von zukünftigen Stromnetzen (Kopernikus-Projekt ENSURE) und der gesamtsystemischen Betrachtung (Kopernikus-Projekt ENavi). Das nun erschienene Positionspapier wurde deshalb mit allen Kopernikus-Schwesterprojekten abgestimmt. »Für die Umsetzung der vorgeschlagenen regulatorischen Änderungen ist es wichtig, dass sie im Einklang mit den Arbeiten der Kopernikus-Schwesterprojekte stehen«, so Professor Eberhard Abele, Sprecher des Projekts SynErgie und Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt.

Bezug des Positionspapiers und Kontakt

Das „Positionspapier zu regulatorischen Änderungen“ steht ab sofort auf der Webseite der Kopernikus-Projekte zum Download bereit.

Kontakt:
Dennis Bauer, Leiter der Koordinierungsstelle des Kopernikus-Projekts SynErgie
+49 711 970 1241; kopernikus-synergie@eep.uni-stuttgart.de
Fachlicher Ansprechpartner Prof. Dr.-Ing. Dipl. Kfm. Alexander Sauer
+49 711 970 3600; alexander.sauer@eep.uni-stuttgart.de; alexander.sauer@ipa.fraunhofer.de

Presse: Dr. Birgit Spaeth +49 970 1810; birgit.spaeth@ipa.fraunhofer.de

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